Vom Zufall des Geborenwerdens

Manche Dinge sieht man in der Nacht klarer: ABENDLAND, der neue Kinofilm von Nikolaus Geyrhalter, durchmisst in einer großen assoziativen Reise ein nächtliches Europa in vielen Facetten. Pulsierende Dienstleistungs- und Wohlstandsgesellschaft, Bollwerk der Sicherheit und Ausgrenzung, urbane Zivilisation, hedonistischer Vergnügungstempel, beflügelt und belastet zugleich von Geschichte, Tradition, Hochkultur.

 

Nachtarbeit, Selbstvergessenheit, Lärm und Stille, Sprachverwirrung und Übersetzungsprobleme, erste Schritte ins Leben, Krankheit, Tod und verzweifelte Versuche, Grenzen zu überschreiten: All dies entfaltet sich durch Geyrhalters Kamera und

 

in Wolfgang Widerhofers kongenialer Montage zu einem bildmächtigen Essayfilm über einen Kontinent und über das Prinzip “Abendland”, von dem man manchmal den Eindruck gewinnt, es würde langsam veratmen.

 

“Einst in Europa”: So betitelte vor zehn Jahren der Schriftsteller und Essayist John Berger eine (Foto-)Erzählung, in der sich unter anderem die Frage nach der “Ungerechtigkeit des Zufalls des Geborenwerdens” stellte. Nikolaus Geyrhalter und sein unverwandter Blick auf das “Jetzt” ebendieses ungerechten Europas mögen ähnliche Motive antreiben: Liebe zum Menschen, die gerade aus der Distanz an Kraft gewinnt.

 

Manche Dinge sieht man in der Nacht klarer.